Paula Tobias
Kurzinformation
aus: Landesfrauenrat Niedersachsen e.V.: frauenOrte Niedersachsen. Auf den Spuren bedeutender Frauen mit 47 frauenORTEN. Dezember 2021.
Kurzbiografie
Paula Tobias wurde am 15.01.1886 in Hamburg als Tochter jüdischer Eltern unter dem Namen Paula Sussmann geboren. Beide Elternteile stammten aus gebildeten Kaufmannsfamilien, in denen Wert auf eine breit gefächerte Bildung und auch auf die eigene gesellschaftliche Stellung gelegt wurde. Paulas Mutter war die Reiseschriftstellerin und Übersetzerin Eva Anna Sussmann, die für verschiedene Feuilletons schrieb. Paula Tobias genoss eine für Mädchen damals außergewöhnliche Schulausbildung. Sie durfte Realgymnasialkurse besuchen und erlangte 1906 ihren Abschluss mit der Reifeprüfung.
1906 bis 1911 studierte sie Medizin in Berlin, Heidelberg und München. In Heidelberg schloss sie 1911 ihr Studium mit ihrer Dissertation ab. Die Approbation erhielt sie ein halbes Jahr später 1912. Um ihre Kenntnisse in der Kinderheilkunde zu vertiefen, ging sie für einige Monate an die Göttinger Kinderklinik.
Paula Tobias gehörte zu den ersten Frauen, die überhaupt an einer deutschen Universität studieren durften. Sie gehörte damit auch der ersten Generation Ärztinnen in Deutschland an. Ihren Mann, Siegfried (genannt „Fritz“) Tobias, heiratete sie 1912. Wie Paula Tobias stammte auch er aus einer jüdischen Kaufmannsfamilie und war ebenfalls Mediziner.
Nach Paulas Tobias´ Anstellung an der Göttinger Kinderklinik gingen die Eheleute Tobias nach Kreiensen und eröffneten dort eine Gemeinschaftspraxis. Paula wurde so die erste praktizierende Landärztin im sogenannten „Braunschweiger Land“. Es war sehr unüblich für Frauen im ländlichen Bereich zu arbeiten, anstatt in einer größeren Stadt zu praktizieren. Paula musste sich also als Ärztin gegenüber ihren männlichen Kollegen behaupten und auch in der Patientenschaft für Vertrauen werben und sich Anerkennung verschaffen.
1914 wurde Fritz Tobias in den Ersten Weltkrieg eingezogen. Paula war nun für die alleinige ärztliche Versorgung der Region verantwortlich. Kreiensen war ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt der Eisenbahn. Es erreichten die kleine Stadt täglich viele verwundete Frontsoldaten, die Paula Tobias zu versorgen hatte. Neben der ärztlichen Betreuung der Bevölkerung kamen Lazarettarbeiten, Bahnhofsdienste, die Ausbildung und Führung neuer Pflegerinnen und der Sanitätsgemeinschaft dazu.
Anfang 1917 beschloss Paula Tobias die Landarztpraxis in Delligsen, im Norden des heutigen Landkreises Holzminden, zu übernehmen. Sie zog dort in das große Arzthaus, arbeitete überdurchschnittlich viel und versorgte bei Wind und Wetter per Fahrrad das große Landgebiet. Ihrem Mann konnte sie ihren Entschluss nach Delligsen zu gehen, nicht mitteilen. Als Fritz Tobias 1918 nach Ende des Erste Weltkrieges zurückkehrte, übernahm er die Praxis nach und nach, während Paula sich neben ihrer Rolle als Ärztin nun zunehmend auch in der einer Hausfrau und Mutter einrichtete. In Delligsen ist auch erstmals von einem Garten und wie er angelegt sei, die Rede.
Paula Tobias führte 1917 in Delligsen die erste Mütterberatung im Braunschweiger Land ein. Zu diesem Zeitpunkt war die allgemeine Kindersterblichkeit noch sehr hoch, sodass den jungen Müttern mit dieser medizinischen Beratung sehr geholfen war.
Für ihren Einsatz während des Ersten Weltkrieges erhielt Paula Tobias das Frauen-Verdienstkreuz für Kriegshilfe. Diese Anerkennung schien ihr zunächst nicht wichtig, denn es war ihr eine Selbstverständlichkeit sich mit all ihren Kräften einzusetzen. Angesichts der späteren Aberkennung als Deutsche durch die Nationalsozialisten gewann diese Auszeichnung für die Ärztin allerdings eine weitaus größere Bedeutung, dokumentierte sie doch unmittelbare Verdienste für das Heimatland.
Ihren ersten Sohn Johannes bekamen Paula und Fritz Tobias am 30.12.1920, sein Bruder Gerd folgte am 15.02.1923. Johannes starb bereits 1927 an einer Blutvergiftung, die er sich in Folge einer Knieverletzung zugezogen hatte. Dieser tragische Tod mag der Grund gewesen sein, weshalb Familie Tobias 1928 nach Bevern ging und dort eine Praxis etwas abseits vom Dorf übernahm.
Ihr Vorgänger, Dr. Max Stahl hatte das Haus von einem Düsseldorfer Architekten planen lassen. Hinter dem Haus befand sich ein großer Garten, der in zwei Teile unterteilt war. Eine Hälfte war als Familiengarten gestaltet, die andere diente als Nutzgarten. Paula Tobias war eine passionierte Gärtnerin, die viele, unterschiedliche und wunderschöne Blumen züchtete. Die Ableger verteilte sie überall in ihrem Bekanntenkreis. Inspirationen holte sich Paula aus dem Buch „Blütengarten der Zukunft“ von Karl Foerster. Die Blumen waren für sie ein Zeichen des Friedens. Als sie emigrieren musste, verstand sie sie als einen Teil von ihr, der bleiben sollte. Unterstützt wurde sie bei der Gartenarbeit von ihrem Chauffeur und Gärtner Weber, der mit ihr jede gestalterische Idee in die Tat umsetzte. Bei der Arbeit im Haushalt gab es tatkräftige Unterstützung von Lisbeth. Die beiden Angestellten wuchsen der Familie sehr ans Herz.
Dr. Fritz Tobias war als guter Turner bekannt, Dr. Paula Tobias als gute Schwimmerin, die einigen Beveraner Kindern das Schwimmen beibrachte. Auf Paula Tobias geht die Initiative zum Neubau eines Freibades in Bevern zurück, das 1929 eröffnet wurde und das die Tobias´ auch maßgeblich finanzierten. Paula Tobias brachte denn auch einigen ihrer Patientinnen das Schwimmen bei. Da Paula Tobias im Bund der deutschen Offiziersfrauen war, nahm sie Ferienkinder aus Hamburg auf. Das Ärztepaar war im Dorf mehr als akzeptiert, die Patientenschaft hatte größtes Vertrauen. Besonders Frau Dr. Tobias war sehr beliebt. Als Ärzte waren sie in Verbindung mit dem Leben der Bevölkerung, nahmen Anteil am Schicksal der Menschen, halfen und heilten. Es darf daher angenommen werden, dass sie „trotz“ akademischer Bildung, gehobenen Lebensstils und ungewöhnlicher privater Interessen, die Anerkennung der Einwohnerschaft Beverns und der umliegenden Dörfer genossen.
Paula Tobias fühlte sich sowohl der Region des Weserberglands sehr verbunden, als auch der Ruhe des dörflichen Lebens. Schon zu Hamburger Zeiten hatte sie den Schriftsteller Wilhelm Raabe (1831-1910) für sich entdeckt, der aus dem nun nahen Eschershausen stammte und sie empfahl diese Lektüre oft weiter. In Bevern führte Paula Tobias die Mütterberatung fort.
Der jüdische Glauben spielte im Leben der Tobias keine Rolle, in Bevern meldeten sich Paula und Fritz Tobias amtlich als konfessionslos. 1932 wurde ihr Sohn sogar in der ev. Luth. Kirche St. Johannes in Bevern getauft. Mit aufkommendem Nationalsozialismus traf die Familie die beginnende Verfolgung als Juden wie überall in Deutschland. Paula wurde die Mütterberatung entzogen, obwohl sie diese stets ehrenamtlich betrieben hatte. Der Kampf gegen Aberkennung und Berufsverbot hatte begonnen, Paula Tobias begann Briefe an den Reichsgesundheitsminister Conti, verschiedene Schriftsteller, nationalsozialistisch orientierte Frauenrechtlerinnen, Lehrer, Organisationen und Behörden zu schreiben, um ihr Deutschsein zu belegen.
Obwohl seine Eltern die Ideologie, die von der HJ vermittelt wurde, zutiefst ablehnten, ließen sie ihren Sohn dort zunächst teilhaben. Paula selbst nähte ihm sogar seine „Uniform“. Diese Geste zeigt, wie sehr sie sich zu diesem Zeitpunkt noch um Gerds Freundschaften im Dorf bemühte. Für einige Monate blieb Gerd Mitglied in der HJ, musste aber aufgrund seiner jüdischen Herkunft aus dieser wieder austreten. Für die engsten Freunde spielte es keine Rolle, dass Gerd jüdischer Abstammung war.
Der Tag des Judenboykotts (01.04.1933) war ein Wendepunkt im Leben der Familie Tobias. Durch den Einzug einer SA-Sportschule ins Schloss Bevern 1934 verstärkten sich die Repressalien. Vor der Praxis waren nationalsozialistisch gesinnte Wachen postiert, die Patienten den Zutritt verwehrten und im Dorf wurden diffamierende Lieder gegrölt („Wenn das Judenblut spritzt…“ – die gesamte Atmosphäre im Dorf war aufgeheizt und feindselig. Die Tobias´ begriffen, dass eine Emigration wohl unumgänglich war. Gerd besuchte das Gymnasium im nahe gelegenen Holzminden und hatte in der Schule stark zu leiden, da ihm Mitschüler die Luft aus den Reifen ließen, Schläuche zerschnitten und die Bücher beschmierten. Paula und Fritz beschlossen, ihren Sohn auf ein Internat nach Holland zu schicken, damit er dort Englisch lernte. Nach Verabschiedung der Nürnberger Gesetze (15.09.1935) stand die Emigration endgültig fest. Paula Tobias war es, die den Hausrat veräußerte. Unter dem Druck der Ereignisse gab Fritz Tobias seine Turngeräte an den örtlichen Turnverein ab. Während Paula Tobias noch die Reise vorbereitete, belegte ihr Mann in Hamburg schon einen Sprachkurs, damit er in den USA sogleich wieder als Mediziner berufstätig werden konnte.
Am 19. November 1935 legten die Tobias in Bremerhaven mit der „Seattle“ ab und brachen in ein neues Leben auf. Fritz Tobias eröffnete 1938 eine Praxis in Grass Valley, Kalifornien. 1945 wurde das Paar geschieden. Paula Tobias arbeitete nach ihrer Emigration nie wieder als Ärztin, sie war als Krankenschwester tätig und ging als solche 1956 in Ruhestand. Paula Tobias verstarb 1970 in Grass Valley.
Quellennachweis:
Kulturzentrum Weserrenaissance Schloss Bevern
Familie und Netzwerk
Lebensstationen
Lektüre
Administrative Angaben
Karte
Fehlt etwas? Helfen Sie mit!
Das Onlineportal wächst stetig weiter.
Unterstützen Sie uns dabei, diese Leerstelle zu füllen oder Fehler zu korrigieren.
Ihre Daten werden sicher durch ein SSL-Zertifikat übertragen. Sollten Sie weitere Fragen zum Datenschutz haben, klicken sie bitte hier: Informationen zum Datenschutz