Um sich und ihre Arbeit vorzustellen, hat die Bet Tfila - Forschungsstelle für jüdische Architektur im Frühling 2025 folgende Fragen beantwortet:
Welche Ihrer Projekte oder Forschungen haben einen besonderen Bezug zu Israel oder israelbezogenem Antisemitismus?
Aktuell bearbeitet die Bet Tfila – Forschungsstelle ein Forschungsprojekt zum Architekturbüro des bekannten jüdischen Architekten Erich Mendelsohn, der auch ein Büro in Jerusalem hatte. In diesem Zusammenhang werden Recherchen in israelischen Archiven durchgeführt werden. Das Projekt ist im Mai 2025 gestartet, in Kooperation mit der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg und der Hochschule Mainz, und wird für drei Jahre von der DFG gefördert.
In welcher Weise trägt Ihre Arbeit zur Sichtbarkeit jüdischer Kultur und Geschichte in Niedersachsen bei?
Die Bet Tfila – Forschungsstelle trägt mit Publikationen, Vorträgen, Tagungen und Ausstellungen zur Sichtbarbeit jüdischer Kultur und Geschichte in Niedersachsen bei. Ihre Ausstellungen von Synagogenmodellen fanden an verschiedenen Orten in Niedersachsen statt.
Gibt es Kooperationsprojekte oder wissenschaftlichen Austausch mit israelischen Institutionen?
Gemeinsam mit dem Center for Jewish Art bearbeitet die Bet Tfila – Forschungsstelle aktuell gleich mehrere Forschungsprojekte. Eines widmet sich der Entwicklung der Frauenbereiche in der Synagoge – von den mittelalterlichen separaten Anbauten hin zur Frauenempore und schließlich einer gemeinsamen Sitzordnung, wie sie heute in einigen Synagogen praktiziert wird. Dieses Projekt fördert die Thyssen-Stiftung.
Wie hat Ihre Institution auf die Ereignisse des 7. Oktober 2023 und die Folgen reagiert bzw. welche Auswirkungen hatten diese auf Ihre Arbeit?
Unsere Räume befinden sich innerhalb der TU Braunschweig und ist innerhalb der TU die einzige Istitution, die die Bezeichnung „jüdisch“ im Titel trägt und die deshalb von einigen wahrscheinlich als jüdische Einrichtung gelesen wird. Nach dem 7. Oktober 2023 fand daher eine Begehung mit der Polizei und dem Sicherheitsbeauftragten der TU Braunschweig statt, um festzustellen, ob die Bet Tfila – Forschungsstelle einer besonderen Gefährdung ausgesetzt ist. In der Folge wurde die Beleuchtungssituation auf unserem Gang verbessert.
Aufrufe zu einem Boykott der Zusammenarbeit mit israelischen Wissenschaftler*innen treffen uns emotional. Ebenso bedrückt uns die Situation, in der unsere vielen israelischen Kolleg*innen und Freund*innen sich seitdem befinden. Veranstaltungen der Bet Tfila – Forschungsstelle, wie eine Podiumsdiskussion zum Thema „Antisemitismus und Wissenschaftsfeindlichkeit“ im Januar 2024 fanden unter Polizeischutz statt.
Inwiefern sehen Sie Ihre Institution als Teil einer niedersächsisch-israelischen Beziehungsgeschichte oder identitätsstiftenden Verbindung?
Als weltweit einzige Forschungseinrichtung, die sich auf die Erforschung jüdischer Architekturgeschichte spezialisiert hat, ist die Bet Tfila – Forschungsstelle eine wichtige Einrichtung in Niedersachsen, die die Forschung vorantreibt und weltweit vernetzt ist. Sie entstand aus der seit 1994 andauernden Kooperation mit dem Center for Jewish Art an der Hebrew University of Jerusalem. Auch dies ist eine Besonderheit – kaum eine Forschungseinrichtung hat eine so enge und langjährige Bindung mit einem israelischen Partnerinstitut. Vielleicht ist das sogar deutschlandweit einmalig.
Wo sehen Sie Potenziale, um historische Forschung in aktuelle gesellschaftliche Diskurse einzubringen?
Das aktuelle Forschungsprojekt „Net Olam. Jüdische Friedhöfe im Fokus von Antisemitismus und Prävention“ hat erstmals in der Forschungsgeschichte der Bet Tfila Antisemitismus als direktes Forschungsthema. Unser Teilprojekt betrachtet die zahlreichen Vermittlungsprojekte, die auf jüdischen Friedhöfen seit den 1970er Jahren stattfinden und die oft zum Ziel auch eine Antisemitismusprävention haben, die aber natürlich kaum nachweisbar ist. Leichter ist das Thema Erinnerungskultur, das im Projekt zu Synagogenmahnmalen in Deutschland eine große Rolle spielt aber auch in viele andere Forschungsfragen der Bet Tfila hineinspielt. Für wen werden Synagogenbauten erhalten und in welchem historischen Zustand? Wer erinnert hier an wen und mit welcher Intention? Und wem „gehört“ das jüdische Kulturerbe überhaupt? Diese Fragen werden aktuell diskutiert im Rahmen des DFG-Schwerpunktprogramms Jüdisches Kulturerbe, das die Bet Tfila mit initiiert hat und in dem sie zur Zeit zwei Projekte bearbeitet. In dieser Förderreihe bearbeitet die Bet Tfila – Forschungsstelle eine Online-Anthologie zu „Konstruktionen jüdischen Kulturerbes in theoretisch-kritischen und literarischen Texten zu Architektur und Raum“ sowie ein Projekt zu „Aneignung und Revitalisierung. Aushandlungsprozesse des deutsch-jüdischen Kulturerbes in Polen“.
Forschung: Galka Scheyer
Die Malerin, Kunsthändlerin und -sammlerin Galka Scheyer, geboren im Jahr 1889 als Emilie Esther Scheyer, stammt aus einer Braunschweiger Unternehmerfamilie. Ihr Vater Leopold Scheyer (1852–1909) war Inhaber der Konservenfabrik Maseberg – vor dem Ersten Weltkrieg das größte Unternehmen dieser Art in Braunschweig. Für ein jüdisches Mädchen aus gutbürgerlichem Haus um die Jahrhundertwende ist ihre Biographie ausgesprochen überraschend: Ihr Weg führt sie bis in die USA, wo sie ab 1924 lebt und 1945 in Hollywood stirbt. Eine allgemeine Bekanntheit in der Kunstgeschichte erlangt sie weniger durch ihre eigenen künstlerischen Werke, als vielmehr durch die Künstlergruppe „Blaue Vier“, die sie gemeinsam mit vier damals wenig bekannten Künstlern des Weimarer Bauhauses gründet: Paul Klee, Wassily Kandinsky, Lyonel Feininger und Alexej von Jawlensky.
Um dem Vergessen entgegenzuwirken, hat die Bet Tfila – Forschungsstelle gemeinsam mit dem Dezernat für Kultur und Wissenschaft der Stadt Braunschweig im November 2019 eine internationale Tagung mit dem Titel „Galka Scheyer – A Jewish Woman in International Art Business“ in Braunschweig organisiert. Namhafte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Deutschland, Europa und den USA haben ihre jüngsten Forschungen zu Galka Scheyer beigetragen und ein vielfältiges, bislang noch unbekanntes Bild ihrer Persönlichkeit präsentiert.
Im Jubiläumsjahr 2021 veröffentlicht die Bet Tfila Forschungsergebnisse der Erkenntnisse der Tagung sowohl in ihrer Schriftenreihe, als auch in enger Kooperation mit dem Galka Scheyer Zentrum e.V. in der Broschüre „Galka Scheyer in Braunschweig. Auf Spuren der jüdischen Kunsthändlerin“.
Um Galka Scheyer auch über die Region hinaus bekannt zu machen, werden 50 ausgewählte Lebensstationen und das breite und vielfältige Netzwerk Galka Scheyers im Onlineportal „Jüdisches Niedersachsen“ des Israel Jacobson Netzwerks e.V. eingepflegt. Die Texte stammen von Gilbert Holzgang, der in langjähriger Recherche Kunstwerke, Berichte und biographische Informationen zum Leben von Galka Scheyer ausgewertet hat. Die Kunstwerke, Bekanntschaften und Erlebnisse werden anhand von zahlreichen Briefen den einzelnen Orten einer virtuellen Karte zugeordnet und können so ein lebendiges Bild der Reisen und des Lebens von Galka Scheyer erzählen.
Dass Galka Scheyer schon in den 1920er Jahren – lange vor der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten – in die USA auswandert, macht sie zu einem besonderen Beispiel für eine Jüdin, die nicht als Opfer des Nationalsozialismus zwangsemigriert, sondern aus beruflichem Interesse selbstbewusst neue Aufgabenfelder sucht. Den Blick auf solche Persönlichkeiten zu lenken, die internationale Bedeutung erfahren haben und die gerade nicht die von Antisemiten häufig betonte „Opferrolle“ einnehmen, ist bedeutsam für die deutsch-jüdische Geschichte.
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