




Station 4: Familie Hochberg
Hier in der Petersilienstraße 3 wohnte der jüdische Kaufmann Selmar Hochberg.
Selmar Hochberg ist am 11. Februar 1870 in Osterode geboren. Seit 1913 lebte er in Goslar. Sein Geschäft war in der Breiten Straße 91, das Sortiment umfasste Herrenmode, Möbel und Haushaltsartikel. Selmar Hochberg wurde von Zeitzeugen als großzügig und hilfsbereit beschrieben. Er gewährte in seinem Geschäft, das vornehmlich auf Kundschaft aus den sozialschwächeren Schichten ausgerichtet war, ausgedehnte Abzahlungsfristen. Auch deshalb erfreute sich sein Geschäft großer Beliebtheit.
Selmar Hochberg führte sein Geschäft zunächst ohne Angestellte, seine Frau Berta half ihm viel im Laden aus. Sie verstarb jedoch bereits 1928. Ihr Grab befindet sich heute auf dem jüdischen Friedhof an der Glockengießerstraße. Nachdem Berta verstarb, stellte Selmar Hochberg eine Haushälterin ein, die ihm auch im Laden half.
Selmar Hochberg hat damals viele Freund*innen und Bekannte, die seinen ausgelassen den Humor schätzten. Er war zwar religiös eingestellt, nahm aber nicht am jüdischen Gemeindeleben teil. Das nahm ihn jedoch niemand übel. Selmar Hochberg war besonders in Arbeiter*innenkreisen sehr beliebt und stand auch der SPD nahe. Manche nannten ihn 'Den Kommunisten'. Dieser Ruf wurde ihm zum Verhängnis. Jude zu sein, und dann noch Sozialist oder gar ein Kommunist, die daraus entstandenen Folgen machten sich schon bald bemerkbar.
Am 1. April 1933, als zum Boykott der jüdischen Geschäfte aufgerufen wurde, wurde Hochbergs Geschäft durch einen SA-Posten bewacht. Fünf Wochen später, am 5. Mai 1933 holten bewaffnete SA-Männer Selmar Hochberg gewaltsam aus seinem Haus und brachten ihn von dort zum Kaisersaal, was später das Odeon Theater war. Dort zwang man ihn, einen Viehwagen zu besteigen. Auch Wilhelm Söffge, den die Nationalsozialisten im März 1933 gezwungen hatten, sein Amt als SPD-Senator niederzulegen, musste diesen Viehwagen besteigen. Mit Marschmusik fuhr man die beiden durch die Klubgartenstraße, Behringerstraße, Marktstraße und Beckerstraße und durch die Innenstadt wieder zurück zum Kaisersaal. Hochberg und Söffge wurden Schilder mit Hetzparolen umgehängt, um sie zu demütigen.
Wilhelm Söffge berichtete später: "Vor dem Wagen marschierten mehrere SA-Gruppen mit Karabiner bewaffnet und berüchtigte Sturmführer aus Goslar. Als mein Sohn den Versuch unternahm, mich vom Wagen herunter zu holen, rief der Sturmführer der SA zu: 'Achtung! Gewehre bereit!' Sämtliche Karabiner richteten sich auf meinen Sohn. Ich rief meinem Sohn zu 'Lass den Unsinn! Gegen die Horde kannst du nichts ausrichten!' Sodann ließ auch mein Sohn davon ab. Bei der Fahrt durch die Stadt schlug der SA-Mann Wilhelm W. verschiedene Male auf uns ein."
Über die Reaktion der Goslarer Bevölkerung zu diesem Vorfall liegen verschiedene Berichte vor. In einem heißt es: "Diese Fahrt war für Selmar Hochberg ein Schock, von dem er sich nie ganz erholte. Von nun an lebte er in ständiger Angst vor weiteren Schickanen und Quälereien. Seine Ängste waren leider berechtigt, eine Zeitzeugin berichtete: "Wir haben unseren Hausgenossen Hochberg Nachts mehrfach versteckt. Die Schlägertruppps kamen lauthals, sogar mit Leitern und wollten Hochberg holen oder erneut irgendwie ärgern. In seiner Not kann er zu meiner Großmutter nach oben und bat sie, ihn bei erneuter Gefahr, so gut zu verstecken, dass man ihn nicht finden könne. Wir baten ihn, sich in einem ganz kleinen Abstellzimmer, das hinter dem Schlafzimmer meiner Großmutter recht günstig für diese Absicht war, aufzuhalten, bis die Gefahr vorüber sei. Da saß er nun, abwartend, was geschehen würde. Die Schlägertrupps klingelten an seiner Wohnung. Die Haushälterin machte auf. Die Männer fragten, wo Hochber sei. Sie erklärte, er sei nicht zu Hause.
Die Trupps durchsuchten seine Wohnung, fanden ihn nicht und verschwanden wieder. Sie haben die anderen Wohnungen nicht belästigt.
Als die Luft wieder rein war, befreiten wir den verängstigten Hochberg aus seiner unangenehmen Lage. Die Juden waren zu dieser schrecklichen Zeit absolutes Freiwild."
1933, ein genauer Termin ist nicht bekannt, gab Hochberg sein Geschäft in der Breiten Straße auf. Er zog ins Haus der Jacobs, Petersilienstraße 3/4. Er hat vermutlich seinen Textilhandel stark eingeschränkt weitergeführt. In all den Jahren stand ihm seine nicht-jüdische Haushälterin Gertrud Heuer treu und mutig zur Seite, obwohl ihr auf der Straße "Du Judensau, du Judenhure" hinterher gerufen wurde.
Für Gertrud Heuer war Selmar Hochberg wie ein Vater, den sie bis zu seiner Ermordung begleitete. Von der Nacht, in der Selmar Hochberg tödliche Misshandlungen erleiden musste, berichtete Gertrud Heuer: "In der Pogromnacht. am 9.11.1938 lag Hochberg krank im Bett, sein Leberleiden, macht ihm zu schaffen. Ahnungslos, hörten wir den lauten Krach der Straße und im Erdgeschoss des Hauses, in dem die Fensterscheiben und die Haustür eingeschlagen wurden. Zu uns oben drangen mehrere SA-Männer. Nach starkem Klingelgeräusch und Schlagen an die Etagentür, machte ich die Tür auf. Ich versuchte den ersten SA-Mann den ich sah zurückzudrängen. Wütend rief er: 'Judenschwein! Ich werfe dich die Treppe hinunter'. Dann stürmten sie in das Schlafzimmer Hochbergs und schlugen mit einem großen Schraubenschlüssel brutal auf Hochbergs Kopf. Den Schraubenschlüssel fanden wir nach diesem Überfall in der Wohnung. Als die Männer abgezogen waren, konnte ich Semar Hochberg sehen. Ich war sprachlos. Total schockiert, der Unglückliche lag fast besinnungslos in einer großen Blutlache. Sprechen konnte ich nicht mehr mit ihm. Dann haben hilfsbereite Nachbarn Hochberg ins nahegelegene Krankenhaus gebracht. Aber da war nichts mehr zu helfen. Ohne die Besinnung wiederbekommen zu haben, starb er am 11.11.1938 um 20:15 Uhr im Goslarer Krankenhaus."
Ein weiterer Augenzeuge berichtete über die Vorgänge im Krankenhaus: "Doktor B. hat Hochberg noch behandelt. Aber zu Helfen war da nicht mehr. Die Misshandlungen waren zu schwer. Im Krankenhaus erschienen SA-Männer und wollten den halbtoten Hochberg wieder wegholen. Dies aber hat Doktor B. mit Entschiedenheit zurückgewiesen. Hochbergs Leichnam wurde dann von einem Goslarer Beerdigungsinstitut aus dem Krankenhaus abgeholt, wohin man ihn gebracht hat, ist unbekannt. Auf dem jüdischen Friedhof in Goslar ist er jedenfalls nicht beigesetzt, doch findet man am Grab seiner Frau Berta eine kleine Gedenktafel für Selmar Hochberg.
In einem Bericht über das Reichspogrom in der Goslarschen Zeitung stand wenige Tage später: "Keinem Juden wurde auch nur ein Haar gekrümmt."
Eine Verordnung vom 12.11.1938 besagte, dass die jüdische Bevölkerung selbst Schuld an der Zerstörungswut der Deutschen in der Reichspogromnacht gewesen sei und sie daher für alle Schäden aufkommen müssten. Zudem hatten Jüd*innen eine Wiedergutmachung in Höhe von 1 Milliarde Reichsmark an das Reich zu bezahlen. Der Anteil Hochbergs belief sich auf 1700 Reichsmark, die die Stadtverwaltung vom Konto des Ermordeten einzog.
Die Täter der Pogromnacht kamen zunächst straffrei davon. Erst 1950 wurden neun Täter vor Gericht gestellt. Fünf von ihnen erhielten Haftstrafen unter zwei Jahre, die anderen wurden freigesprochen.
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Station 5: Familie Jacob
Hier in der Petersilienstraße 3/4 befand sich das Geschäft und Wohnhaus der Familie Jacob.
Die Familie Jacob war eine bekannte und angesehene Kaufmannsfamilie in Goslar. Bereits 1881 eröffnete Leopold Jacob eine Lederhandlung. Sein Sohn Emil Jacob lebte mit seiner Frau Henriette von 1880 bis 1900 in Chicago und zog später nach Goslar. Ihre Ehe brachte sechs Kinder hervor. Luzie, Wally, Alfred, Max, Hans und Charley Jacob.
Henriette und Emil Jacob starben 1920 beziehungsweise 1921, so dass die drei Söhne Max, Alfred und Charley das Geschäft weiterführten. Wie die anderen jüdischen Geschäfte, wurde auch das Geschäft der Jacobs am 1. April 1933 boykottiert. Dank der Treue etlicher Kund*innen konnte das Geschäft bis 1938 stark verkleinert weitergeführt werden. In der Reichspogromnacht wurde das Geschäft von Goslarer Nationalsozialisten zerstört. Es wurde geplündert und demoliert, fast alle Fensterscheiben gingen zu Bruch.
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