Ruth Weinberger
Kurzinformation
Kurzbiografie
Ruth Weinberger entstammte einer angesehenen Lüneburger Familie. Ihre Eltern Moritz Jacobsohn (1845-1932) und Betty geb. Heinemann (1859-1934) hatten außer ihr noch fünf weitere Kinder, die vor ihr geboren wurden: Hermann (1879-1933), Martha verh. Meijer (1878-1943), Elisabeth verh. Levinger (1882-1972), Albert (1881-1912) und Adolf (1886-1918), der im 1. Weltkrieg gefallen ist. 1920 hatte Ruth Jacobsohn in Lüneburg als erstes Mädchen ihr Abitur am Johanneum gemacht und danach - allerdings wohl ohne das Ziel einer akademischen oder beruflichen Karriere - an den Universitäten Hamburg (die damals gerade erst aus dem 'Kolonialinstitut' entstanden war), München und Marburg studiert; einen akademischen Abschluss erwarb sie nicht. Ruth Weinberger war musikalisch sehr begabt, eine hervorragende Pianistin und Violinistin, die aber auch das Singen liebte. Sie hielt zeitlebens einen engen Kontakt mit ihren Eltern und Geschwistern sowie mit deren Kindern.
1923 heiratete Ruth den in Bayreuth geborenen Karl Weinberger (1889-1941), der zu dem Zeitpunkt in Berlin als Jurist im Staatsdienst tätig war. Karl Weinberger wurde von Berlin zunächst nach Hof versetzt. Dort kam die älteste Tochter Hannah (1928-2005) zur Welt. Als Ruths Mann dann 1929 als Erster Staatsanwalt an die Staatsanwaltschaft Würzburg kam, wohnte die Familie zunächst in der Wittelsbacher Straße 7. 1931 kam der Sohn Michael (1931-1943) auf die Welt. Nach der Geburt des dritten Kindes Elisabeth Maria, genannt Lies (1936-1943) war diese Wohnung zu klein geworden und Weinbergers zogen in eine größere Wohnung in der Keesburgstraße 20. Die Familie gehörte zum gehobenen Bürgertum der Stadt und hatte viele Freunde und Bekannte auch außerhalb der jüdischen Gemeinschaft.
Die Weinbergers waren - wie bei einem Ersten Staatsanwalt kaum anders zu erwarten - eine ganz und gar assimilierte Familie, die ihr deutsches Vaterland und besonders die deutsche Kultur sehr liebte. So feierte man zwar auch Chanukka, aber viel mehr Weihnachten mit Weihnachtsbaum, -gebäck, -geschenken und -liedern. Man fuhr im Urlaub an die Ostsee, in die bayerischen Alpen, besonders gern aber in die Rhön – aus Wüstensachsen stammten die Vorfahren ihres Mannes. Man machte Wanderungen und Ausflüge in die nähere Umgebung, und noch 1942, als Ruth Weinberger ältere und behinderte jüdische Bürger vor ihrer Deportation aus ihren Wohnorten in Unterfranken zur temporären Unterbringung in den Würzburger 'Judenhäusern' abholen musste, lassen ihre Briefe an eine Freundin erkennen, wie sehr sie an bestimmten Orten und Landschaften hing, weil sich mit ihnen Erinnerungen an Ausflüge mit ihrem Mann oder mit der ganzen Familie verbanden.
Am 9. November 1938 hatte Karl Weinberger in Familienangelegenheiten eine Reise nach Lüneburg gemacht. Als in der Pogromnacht eine Horde Nazis in Weinbergers Wohnung eindrang, war Ruth mit den Kindern allein. Die Familie Bauer, der das Haus gehörte und zu der die Familie Weinberger ein freundschaftliches Verhältnis hatte, versuchte vergeblich - woraus sich sogar für den Hausherrn später Komplikationen mit der Partei ergaben - Schaden zu verhindern. Zwar geschah Ruth und ihren Kindern nichts, aber zwei Zimmereinrichtungen wurden völlig zerschlagen. Dies war der Anlass, dass sich die Eltern dazu durchrangen, die Kinder im Ausland in Sicherheit zu bringen. Durch Vermittlung von Bekannten der Familie waren für alle die Älteste und die beiden Kleinen rasch zwei Pflegefamilien gefunden und die Kinder sollten mit einem Kindertransport nach England gelangen. Als es dann soweit war, konnten es Ruth und ihr Mann nicht übers Herz bringen, die 3-jährige Lies und den 7-jährigen Michael allein in die Fremde zu schicken. Lediglich Hannah gelangte dorthin. Hannah erzählte später, dass die Eltern sie noch ein kurzes Stück auf der Zugfahrt begleitet hatten. Sie hat sie und ihre beiden Geschwister nie wiedergesehen. Die Tochter wurde liebevoll aufgenommen und führte solange es ging einen regen Briefwechsel mit Eltern und Verwandten in Deutschland. Nach Ausbruch des Krieges wurde dies immer schwieriger und gelang nur noch über Verwandte und Freunde über die Schweiz, die Niederlande oder sogar über die Vereinigten Staaten.
Karl Weinberger war 1937 aus dem Staatsdienst entlassen worden, was ihn psychisch sehr belastete. Vor diesem Ereignis hatte er aufgrund seines Berufs keine Chance gesehen, sich im Ausland eine neue Existenz aufzubauen, obwohl seine Brüder Max und Leo von Kalifornien aus ihn dazu ermunterten. Spätere Bemühungen auf Emigration der Familie zunächst nach England scheiterten am Kriegsausbruch und Pläne für eine Emigration nach Kuba oder die USA ließen sich nicht mehr realisieren. Er übernahm 1939/40, obwohl er bis dahin nicht sehr religiös gewesen war, sich aber ein Leben in Untätigkeit nicht vorstellen konnte, die Leitung der Israelitischen Kultusgemeinde Würzburg. Diese Arbeit verschaffte ihm große Befriedigung und hohen Respekt. Er starb im Dezember 1941 nach mehrwöchigem Krankenhausaufenthalt an einer Blutvergiftung, möglicherweise verursacht durch eine alte Kriegsverletzung. Im Oktober 1939 musste die Familie ihre Wohnung unter Zurücklassung aller Möbel verlassen und eine kleinere Wohnung in der Hofmeierstraße beziehen.
Ruth arbeitete seit 1940 als Krankenschwester in der Gemeinde und übernahm dann die oben beschriebene Aufgabe, wohl wissend, dass die Deportation für die alten Menschen, die sie aus ihren Heimatorten abholte, ein baldiges Ende bedeuten würde. Ruth Weinberger und ihre Kinder lebten da im Heim in der Dürerstraße 20, wo sie eine leitende Position innehatte.
Am 17. Juni 1943 wurde Ruth Weinberger mit ihren beiden jüngsten Kindern Michele und Lies von ihrer letzten Station in der Bibrastraße 6 aus mit dem letzten Würzburger Transport nach Auschwitz deportiert. Sie schrieb über das Rote Kreuz noch eine letzte Nachricht an ihre Tochter Hannah in England:“… Verlegen morgen unseren Wohnsitz nach Osten. Sind guten Mutes. Alle gesund…. Innige Grüße, Mutter.“ Unter ihr unterschreibt auch der Bruder Michael. Da dort keine Registrierung vorliegt, muss angenommen werden, dass sie sofort nach der Ankunft ins Gas geschickt wurden.
Von der Familie Karl Weinbergers überlebte als einzige die älteste Tochter Hannah Gertrud, die sich in England unter dem Namen Hanna Hickman als Germanistin einen Namen machte. Ihren Erinnerungen, die 2003 als Buch erschienen sind, konnten Einzelheiten über die Familie Weinberger entnommen werden.
Ruth Weinbergers Bruder Hermann hat seinem Leben im April 1933 selbst ein Ende gesetzt. Ihre Schwester Martha wurde nach ihrer Flucht in die Niederlande von Westerbork 1943 nach Auschwitz deportiert – ein halbes Jahr nach Ruth. Nur die Schwester Elisabeth konnte zusammen mit ihrem Mann 1936 von München aus nach Palästina emigrieren. Deren Sohn Peretz/Fritz hat die Gedenkblätter für Ruth Weinberger und ihre beiden Kinder angelegt.
Quellennachweis:
Stolpersteine Würzburg (zuletzt eingesehen am 27.09.2022)
Autorenschaft:
H.-P- Baum, I. Sontag
Familie und Netzwerk
Lebensstationen
Lektüre
Administrative Angaben
Karte
Fehlt etwas? Helfen Sie mit!
Das Onlineportal wächst stetig weiter.
Unterstützen Sie uns dabei, diese Leerstelle zu füllen oder Fehler zu korrigieren.
Ihre Daten werden sicher durch ein SSL-Zertifikat übertragen. Sollten Sie weitere Fragen zum Datenschutz haben, klicken sie bitte hier: Informationen zum Datenschutz