Städtisches Museum Göttingen
37073 Göttingen
Samstag und Sonntag 11.00 bis 17.00 Uhr
Jeden ersten Donnerstag im Monat bis 19.00 Uhr
Kurzbeschreibung
Autorin: Iris Olszok
Bereits bei Gründung des Museums arbeitete Moriz Heyne eng mit der damaligen jüdischen Gemeinde der Stadt zusammen und wurde von dieser durch private Objektspenden und einer Geldspende des Deutsch-Israelitischen Vereins Göttingen beim Aufbau der stadtgeschichtlichen Sammlung unterstützt. Für die Anfangsjahre des Museums (1889-1897) sind zehn Jüd*innen als Stifter*innen nachgewiesen, die insgesamt 36 Objekte stifteten. Darunter befindet sich Judaica, aber auch Alltagsstücke wie Münzen, Schuld- und Postscheine, Drucke, Handwerkszeug und eine Tabakpfeife. Für den Eingang von Judaica war vor allem der Umzug der Sammlung in den Hardenberger Hof 1896 zentral, da Moriz Heyne hier einen eigenen Raum für „Israelische Altertümer“ einrichtete. Dafür stiftete der Deutsch-Israelitische Vereins Göttingen (Gründer und Vorsitzender: Benno Jacob) dem Museum 100 Mark, sowie später 30 Mark für den Ankauf von zwei Bronzenen Synagogen- bzw. Sabbat-Leuchtern. Nach der Einrichtung des Raumes stifteten Mitglieder der jüdischen Gemeinde vermehrt Judaica (Tora-Vorhänge, Tora-Wimpel, Sabbat- und Channuka-Lampen, Hochzeitsringe, ein Beschneidungskasten). Die Korrespondenz zwischen Moriz Heyne und seinem Stellvertreter Cuno Rumann zeigen, dass die Stifter*innen neben den materiellen Objekten auch ihr Wissen über die Bedeutung der Objekte an das Museum weitergaben („[…] was die Bezeichnung Sederschüssel betrifft, so bekenne ich auch meine gänzliche Unwissenheit; wir werden aber durch unsere jüdischen Freunde schon Belehrung erfahren.“ Moriz Heyne an Cuno Rumann, 04.08.1899, in: Städtisches Museum Göttingen, Chronik 1897, Objekt: JC. 1899/270).
Mit der Einrichtung des Raums für „Israelische Altertümer“ im Hardenberg Hof dürfte das Städtische Museum Göttingen nach Jens Hoppe das erste historische Museum Deutschlands gewesen sein, dass diesen einen eigenen Raum widmete und sie gezielt sammelte (vgl. Jens Hoppe: Jüdische Geschichte und Kultur in Museen. Zur nichtjüdischen Museologie des Jüdischen in Deutschland, Münster 2002, S. 20).
In dem Zeitraum von 1893 bis 1917 kamen durch das Engagement von Jüd*innen aus Göttingen und der näheren Umgeben Objekte mit konkretem Bezug zur Göttinger Stadtgeschichte und lokalen jüdischen Gemeinden in das Museum. Bei den bisher erforschten Objekten handelt es sich größtenteils um Objekte aus religiös-rituellem Kontext, sowohl häuslichen aus auch synagogalen Ursprungs. Der Eingang von säkularen Alltagsgegenständen und persönlichen Zeugnissen durch Göttinger Jüd*innen ist bisher nur für die Anfangsjahre des Museums (1889-1897) näher erforscht. Der Zeitraum belegt jedoch, dass neben Judaica durchaus auch Alltagsgegenstände gestiftet wurden.
Während der NS-Zeit wurde die Sammlung eingelagert und ausgeblendet. Gleichzeitig kam Besitz jüdischer Familien aus Göttingen im Kontext von NS-Arisierungspolitik in das Städtische Museum. Anfang der 1970er Jahre wurden sie im Zuge einer Sonderausstellung zu jüdischem Kultgeräten ausgestellt. In den frühen 1980er Jahren wurden die älteren Judaica-Objekte wieder in die Dauerausstellung integriert.
Ein zweiter Teilbereich der Judaica-Sammlung des Städtischen Museums Göttingen wurde zwischen 1990 und 2003 erworben. Im Kontext der allgemein einsetzenden medialen Debatte über die NS-Judenverfolgung wurden in diesem Zeitraum von den damaligen Museumsleitern Objekte erworben, die das religiöse Judentum repräsentieren sollten, jedoch keinen Bezug zur Stadtgeschichte oder Göttinger Jüd*innen haben.
Tora-Wimpel-Sammlung: Eine Besonderheit in der Judaica-Sammlung des Städtischen Museum Göttingen stellt die große Sammlung an Tora-Wimpeln dar.
Der erste Wimpel wurde dem Museum 1897 von Siegfried Benfey gestiftet. Benfey war zu der Zeit Mitglied des ebenfalls von Moriz Heyne gegründeten Vereins für die Geschichte Göttingens, der als Freundeskreis des Museums fungierte. Weiterhin war Benfey Teil der 1893 gegründeten Verwaltungskommission des Museums und verwaltete die Bankgeschäfte des Museums.
In den folgenden Jahren kamen weitere Wimpel in die Sammlung. Bereits 1897 wurde in einer Schätzung der Sammlung ein Wert von 1000 Mark für eine „Collection von gestickten und gemalten Thorawimpel v. 1646 bis 1829“ angegeben. Ab 1917 erweiterte sich die Sammlung erheblich durch den Ankauf einer größeren Sammlung aus der Synagoge zu Adelebsen. Der jüngste Wimpel ist auf das Jahr 1838 datiert. Insgesamt handelte ist sich vermutlich um 18 Wimpel aus Adelebsen, womit die Sammlung an Tora-Wimpeln im Städtischen Museum Göttingen seit 1917 insgesamt 28 Objekte zählte.
Die erhaltene Sammlung wurde 2021 anlässlich des Festjahres „321 – 2021: 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ im Zuge einer Sonderausstellung präsentiert. Ebenfalls 2021 erschien der Sammlungskatalog „Stadt Göttingen – Städtisches Museum Göttingen (Hg.): Gestickte Pracht – Gemalte Welt. Die Sammlung der Tora-Wimpel im Städtischen Museum Göttingen, Göttingen 2021“. Der digitalisierte Sammlungsbestand ist zweisprachig unter tora-wimpel-goe.de/sammlungsbestand/ abrufbar, Impressionen der Ausstellung und kurze Interviews unter anderem mit Michal S. Friedlander, Kuratorin für Judaica und Angewandte Kunst am Jüdischen Museum Berlin, Studierenden vom Verband jüdischer Studierenden Nord e. V., der Textilrestauratorin Ada Hinkel und Historiker*innen des Städtischen Museums Göttingen unter tora-wimpel-goe.de.
Autorin: Iris Olszok
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Gestickte Pracht und gemalte Welt – Tora-Wimpel-Sammlung
Das Städtische Museum Göttingen präsentiert im Festjahr eine besondere Attraktion. Vom 18. Juni bis zum 17. Oktober 2021 ist dort eine Auswahl einzigartiger Tora-Wimpel erstmals zu sehen.
Tora-Wimpel sind religiöse Textilien aus der jüdischen Tradition, die vor allem im deutschsprachigen Raum verbreitet waren. Es handelt sich um knapp drei Meter lange Leinenstreifen, die aus den Beschneidungswindeln eines jüdischen Jungen angefertigt und mit dem Namen des Jungen und seines Vaters, mit Segenssprüchen sowie ornamentalen und figürlichen Verzierungen bestickt oder bemalt werden. Beim ersten Synagogenbesuch des Jungen werden die Tora-Rollen mit diesem Wimpel umwickelt.
Die Tora-Wimpel sind sowohl Ausdruck individueller Kreativität und persönlichen Glaubens wie auch Dokumente einer tiefen Verbundenheit mit der Gemeinde.
Die Wimpelsammlung im Städtischen Museum Göttingen umfasst 28 Exemplare aus einer Zeit zwischen 1690 und 1838. Herausragend ist die Sammlung zum einen wegen der handwerklichen und ästhetischen Qualität der Objekte, zum anderen durch die Besonderheit, dass nahezu alle Tora-Wimpel konkreten Personen oder Familien zugeordnet werden können.
Durch ihre starke Wirkungskraft sind die Tora-Wimpel ganz besondere Zeugnisse jüdischen Lebens. Ihr buntes Bildprogramm eröffnet Einblicke in die Glaubenswelt der jüdischen Bevölkerung und in ihr alltägliches Leben in den ländlichen Gegenden rund um Göttingen. Anhand der mit ihnen verbundenen Namen und Familien dokumentieren sie Jahrhunderte der Beschränkungen und Unterdrückung, gleichzeitig aber auch der Emanzipation und teilweisen Assimilation.
Mehr Informationen
Allerdings sind wegen einer langanhaltenden Sanierung die Ausstellungsflächen aktuell sehr reduziert und wir mussten unsere Ausstellung stark begrenzen. Passend zum Hardenberger Hof zeigen wir Ihnen:
Stadt. Macht. Glaube. Göttingen im 16./17. Jahrhundert
Unsere multimediale Dauerausstellung gewährt mit stadtgeschichtlichen Objekten, Einblicke in das Leben in Göttingen vor 400 Jahren, eine bewegte Zeit voller Veränderungen und Umbrüchen in Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Glaube. Die große Sammlung sakraler Kunst aus der Region beherbergt einzigartige Skulpturen und ist in diese Präsentation integriert.
Sonderausstellungen zeigen im Wechsel Stadtgeschichtliche Themen mit überregionaler Bedeutung, Sammlungsschwerpunkte des Hauses, oder präsentieren Forschungsergebnisse.
Quellennachweis:
Städtisches Museum Göttingen (zuletzt eingesehen am 22.06.2023)
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