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Gracia Mendes Nasi

Gracia Mendes Nasi

Lebensdaten:
geboren: 1510
gestorben: 1569
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Kurzbiografie

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Symposium „Judentum in Niedersachsen – lebendig, wertvoll und bereichernd“

Das Thema

Anlässlich des Festjahres „321–2021: 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ fand auf Einladung des Niedersächsischen Landesbeauftragten gegen Antisemitismus und für den Schutz jüdischen Lebens am 18. Oktober 2021 ab 14 Uhr in der Gedenkstätte Ahlem ein halbtägiges Symposium unter dem Titel „Judentum in Niedersachsen – lebendig, wertvoll und bereichernd“ statt.

Mit Blick auf die derzeitigen Diskussionen um neuere, auf Ab- und Ausgrenzung setzende Entwicklungen in unserer Gesellschaft und deren tiefsitzende Ursachen wurden hier nicht die standardisierten und ritualisierten, sondern neue Ansätze und verschiedene Perspektiven präsentiert und diskutiert. Neben der Vorstellung verschiedener Projekte in Niedersachsen wurde das von Liv Migdal an der Violine und Matan Goldstein an verschiedenen Perkussions-Instrumenten musikalisch umrahmte Symposium mit einem Hauptvortrag von Bestseller-Autor Peter Prange und mit einer lebendigen Podiumsdiskussion zwischen der Journalistin Mirna Funk, der Staatsministerin a.D. und Generalsekretärin des Vereins „321–2021: 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“, Sylvia Löhrmann, dem Autoren Peter Prange sowie dem Vorsitzenden der WerteInitiative e. V., Dr. Elio Adler, bereichert. Moderiert wurde die Veranstaltung in hochprofessioneller Weise von der NDR-Journalistin Christina von Saß.
Vonseiten des Niedersächsischen Landtags wurde das Symposium begleitet von den Abgeordneten Kerstin Liebelt (SPD) und Jörg Bode (FDP).

In chronologischer Reihenfolge befassten sich die weiteren Vorträge mit den folgenden Themenschwerpunkten:
• „Jüdisches Leben in Niedersachsen – eine Standortbestimmung“
Michael Fürst, Vorsitzender des Landesverbands der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen K. d. ö. R., und Katarina Seidler, Vorsitzende des Landesverbands der Israelitischen Kultusgemeinden in Niedersachsen K. d. ö. R.
• „Der Schutz jüdischen Lebens als Eckpfeiler niedersächsischer Landespolitik“,
Niedersächsische Justizministerin Barbara Havliza
• „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ – Vorstellung ausgewählter niedersächsischer Projekte
Dr. Franz Rainer Enste, Niedersächsischer Landesbeauftragter gegen Antisemitismus und für den Schutz jüdischen Lebens
• Vorstellung besonderer Projekte des Landesdemokratiezentrums:
a) „Gewalt, Ausgrenzung und das Stereotyp ‚Jude‘ im Fußball“ Dr. Elke Gryglewski, Geschäftsführerin der Stiftung Niedersächsische Gedenkstätten
b) „Dokumentation antisemitischer Vorfälle“ Katarzyna Miszkiel-Deppe (RIAS), Leiterin der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Niedersachsen (RIAS)
c) „Empowerment und Dialogarbeit“ Dr. Rebecca Seidler, Leiterin des Projekts „Jüdisches Leben – Empowerment und Dialogarbeit“ beim Landesverband Israelitischer Kultusgemeinden Niedersachsen
d) „Was geht mich jüdisches Leben in Deutschland an? – Betrachtungen eines Nachgeborenen“ Peter Prange, Schriftsteller und Buchautor

Die anschließende Podiumsdiskussion stand unter dem Thema „Von Kitt und Rissen – was eine Gesellschaft zusammenhält und was sie spaltet“.

In der Gedenkstätte Ahlem, einer einstigen israelischen Gartenbauschule, später Sammelstelle für Deportationen und heute Erinnerungsort, wurde so mit der Vorstellung innovativer und bedeutender Projekte nicht nur die Arbeit im Kampf gegen Antisemitismus in unserem Bundesland einer breiten Öffentlichkeit präsentiert, sondern es wurden auch neue Gesprächsebenen beschritten, um der Frage nachzugehen, welcher „Kitt“ unsere Gesellschaft zusammenhält und welche „Risse“ sie spaltet. Das Symposium wurde in voller Länge aufgezeichnet und live im Internet ausgestrahlt. Die Teilnahme an der Veranstaltung war kostenlos.

[...]

Nachdem der erste Teil des Symposiums einen Einblick in das jüdische Leben in Niedersachsen mit seiner Vielfältigkeit, aber auch mit den Bedrohungen gegeben hatte, verorteten die Ansichten, die Peter Prange unter dem Titel „Was geht mich jüdisches Leben an? Betrachtungen eines Nachgeborenen“ zusammenfasste, das jüdische Leben erklärtermaßen aus einer nichtjüdischen Perspektive. Von dieser Sichtweise hänge ja maßgeblich ab, ob Jüdinnen und Juden in Deutschland „gut“ leben könnten. Frei nach dem Motto „Es ist leicht, in guten Zeiten ein guter Mensch zu sein, aber was passiert, wenn der Wind von vorne weht?“ stellte Prange sich zudem der Frage, wie er sich z. B. während des Nationalsozialismus verhalten hätte. Eingeleitet mit einem Zitat des früheren Bundeskanzlers Helmut Kohl, der in diesem Zusammenhang von der „Gnade der späten Geburt“ gesprochen habe, kommt Peter Prange zu dem Ergebnis, dass die Nachgeborenen keine Schuld trügen – weder im juristischen noch im moralischen Sinn. Und trotzdem hätten die Nachgeborenen mit der unseligen deutschen Vergangenheit mehr zu tun, als ihnen lieb sei. Peter Prange führte zunächst in einem Exkurs durch die Geschichte, denn Antisemitismus sei keine Erfindung der Nazis, sondern habe in der europäischen Geschichte Jahrtausende alte Wurzeln. Er untermauerte seine Ausführungen durch persönliche Erfahrungen und Kindheitserinnerungen. Seine erste wirkliche Auseinandersetzung mit dem Judentum habe er einer der großartigsten Frauengestalten der europäischen Geschichte zu verdanken: Gracia Mendes mit christlichem bzw. Gracia Nasi mit jüdischem Namen. Ihr Leben habe ihn dermaßen fasziniert, dass er einen Roman über sie geschrieben habe. Das Leben der Dona Gracia sei für ihn ein beeindruckendes Beispiel, wie ein Mensch aus der Kraft seines Glaubens über sich hinauswachsen könne. Doch dieses Leben zeige noch etwas Anderes, was ihm ein Licht über das Judentum angesteckt habe. Wohin auch immer das Schicksal Dona Gracia und ihre Schutzbefohlenen verschlagen habe: Überall seien Schulen eingerichtet worden, um das uralte Wissen des jüdischen Volkes an die Jüngeren weiterzugeben, zusammen mit neuen Erkenntnissen und Erfahrungen, die man auf der Odyssee durch ganz Europa erworben habe. Ihm sei keine Kultur bekannt, in der Bildung einen so hohen Wert habe wie im Judentum. Dies sei keine positive Diskriminierung, Bildung sei vielmehr für das Judentum in seiner von Vertreibung und Verfolgung geprägten Geschichte eine überlebenswichtige Notwendigkeit gewesen. In der Geschichte der Dona Gracia sei ihm darüber hinaus ein zweites Merkmal jüdischer Kultur deutlich geworden: eine schier grenzenlose Debattierfreudigkeit. Er machte dies an dem Ausdruck „Judenschule“ deutlich. Die Aussage „Wir sind hier nicht in der Judenschule“ sei aus einem deutschen Mund pejorativ gemeint und impliziere, in der Schule habe Disziplin und Ordnung zu herrschen. In der „Judenschule“ hingegen ginge es hoch her, weil man dort debattiere. Somit kommt Peter Prange schließlich zu dem Ergebnis, dass beides – Bildung und Debattierfreudigkeit – Ausdruck der Einsicht sei, dass es für uns Menschen ewige Wahrheit nicht gebe, sondern wir uns nur immer wieder neue Annäherungen an die Wahrheit erarbeiten könnten, im Wechselspiel von Wissen und Infragestellung, von Meinung und Gegenmeinung. Die leidenschaftliche Suche nach Erkenntnis, gepaart mit einer schier unersättlichen Lust an der Debatte sei das, was ihn an jüdischer Lebensart schlichtweg begeistere. Diese Lebensart habe nicht zuletzt den berühmten jüdischen Witz hervorgebracht. Prange trägt exemplarisch zwei Witze vor, die dies unterstreichen:

Ein Jude kommt zum Metzger und zeigt geradewegs auf einen Schinken und sagt:
„Ich hätt gern diesen Fisch dort.“
„Aber das ist doch ein Schinken“
„Mich interessiert nicht, wie der Fisch heißt.“

„‘Die Juden sind an allem schuld’, meinte einer. ‘Und die Radfahrer’ … sagte ich. ‘Wieso denn die Radfahrer?’, antwortete er verdutzt. ‘Wieso die Juden?’, fragte ich zurück.“
(Kurt Tucholsky (angeblich))

Jeder Witz sei mehr als nur ein Witz. Denn der eigentliche Witz an jedem Witz sei die Verknüpfung von Überraschung und Logik.

Peter Prange führt mit einem ganz und gar egoistischen Argument gegen den Antisemitismus fort, nämlich mit einem Hinweis das geistige Verlustrisiko, das mit jeder Form von Antisemitismus einhergehe, auf einen sogenannten Brain-Drain. Abgesehen von aller Moral und Ethik: Wie abgrundtief dumm müsse eine Gesellschaft sein, wenn sie Heerscharen hochqualifizierter Menschen ausgrenze, mit Berufsverboten belege, verjagt oder am Ende sogar auszurotten versuche? Die von den Nazis betriebene Verfolgung und Vernichtung von Jüd*innen sei das größte und schwerste Verbrechen der Menschheitsgeschichte. Zugleich aber sei sie auch, so Prange, die geistige Selbstverstümmelung des deutschen Volkes und der deutschen Nation. Schier grenzenlos sei die Zahl herausragender Wissenschaftler*innen und Unternehmer*innen, Ärzt*innen und Jurist*innen, Künstler*innen und Schriftsteller*innen und Philosoph*innen, die Deutschland im Verlauf seiner Geschichte dem Rassenwahn geopfert habe. Aber es gebe nicht nur die Genies mit den berühmten Namen. Es gebe darüber hinaus unendlich viele andere überaus produktive und wirkungsmächtige Jüd*innen die kaum jemand zu ihren Lebzeiten kannte, geschweige heute noch jemand kennt. Mit zweien dieser Persönlichkeiten, Josef Ganz und Erich Pommer, habe er sich in zweien seiner Romane befasst.

In dem ersten Roman erzählt Prange die Geschichte des Volkswagenwerks und wie das vermeintlich deutscheste aller Autos entstand, denn der VW Käfer sei zwar von Ferdinand Porsche konstruiert worden, erfunden habe ihn aber Josef Ganz, der eine schillernde Figur der zwanziger Jahre gewesen sei. Auf der einen Seite sei er Autokonstrukteur gewesen und habe ein freies Ingenieurbüro geführt. Auf der anderen Seite sei er Herausgeber der Zeitschrift „Die Motor-Kritik“ gewesen und habe in beiden Funktionen für einen „Volkswagen“ gekämpft, ihn auch so benannt und daraus eine Massenbewegung gemacht. Unter anderem habe er ein Manifest geschrieben „Das Auto des kleinen Mannes“ und darin bereits eine detaillierte Beschreibung des Autos geliefert und ihm den Namen gegeben, unter dem wir den Wagen heute noch kennen: „Maikäfer“. Mit dem Prototyp sei er 1933 auf der Internationalen Automobil- und Motorradausstellung (IAMA) in Berlin vertreten gewesen, wo Hitler zwei Wochen nach seiner Ernennung zum Kanzler seine erste Rede hielt, in der er sich als Verfechter der Mobilisierung Deutschlands zeigte, die ihm insbesondere auch von Josef Ganz viel Beifall einbrachte; nicht, weil Ganz dumm gewesen sei, so Prange, sondern weil er ein Mensch war, der den Wunsch zum Vater des Gedankens machte. Josef Ganz war – so Prange – ein Autobesessener, der dachte, den Auftrag zum Bau dieses Autos zu erhalten. Denn Ganz selbst hatte anfangs sogar Hoffnungen in Hitler gesetzt. Hitler forcierte vieles, was dieser selbst schon in den zwanziger Jahren gefordert hatte, vor allem gerade die Konstruktion billiger Autos. Dies war ein Trugschluss. Schnell musste Josef Ganz erkennen, dass er als Jude nicht nur keine Chance bei den Nazis hatte, sondern sogar aus rassistischen Gründen verfolgt wurde; so brach die Gestapo in sein Büro ein, und Josef Ganz wurde einer Prozesslawine unterzogen. In den Jahren vor der „Machtergreifung“ hatte sich Ganz als Chefredakteur der Zeitschrift „Motor-Kritik“ bei seinen „Kollegen“ unbeliebt gemacht. Denn er hatte ihre großen, schweren Autos, die technisch oft nicht auf dem neuesten Stand waren, in nicht selten zynischem Ton kritisiert und sich über sie lustig gemacht. Die Autobauer hatten sich mit dem Vorwurf gewehrt, Ganz betreibe die Sabotage der deutschen Autoindustrie. Für die Nazis war diese Kritik an den deutschen Autobauern ein idealer Ansatzpunkt, denn sie konnten die Sache so darstellen, als wehre die Autoindustrie sich nur gegen die Verunglimpfung deutscher Produkte durch einen Juden.1934 verfügte Adolf Hitler, dass alle deutschen Autobauer ihre Patente kostenlos dem Staat aushändigen mussten. Denn Hitler wollte, dass unter staatlicher Aufsicht und Führung ein Auto entwickelt werde, das preiswert sein sollte, damit sich möglichst viele deutsche Volksgenossen ein solches Vehikel leisten konnten. Damals hätte Hitler auf Ganz anstatt auf Porsche als Konstrukteur zurückgreifen können. Doch das war für den „Führer“ völlig undenkbar – denn Josef Ganz war Jude. Während die deutschen Autohersteller auf Befehl Hitlers kostenlos ihre Patente hergeben mussten, an denen Ferdinand Porsche sich dann bedienen konnte, wurde Ganz als Jude 1934 von der Gestapo kurzzeitig verhaftet. Nachdem er wieder auf freien Fuß gesetzt worden war, floh er zunächst nach Liechtenstein und dann in die Schweiz. Dort trieb er seine Forschungen und Überlegungen weiter und konstruierte mit Unterstützung der Schweizer Regierung einen weiteren Volkswagen. Dies wurde aus Deutschland wiederum torpediert und Josef Ganz wanderte schließlich 1950 nach Australien aus.

Ein anderer, heute fast vollkommen in Vergessenheit geratener deutscher Jude, der – so Prange weiter – wirklich Außergewöhnliches geleistet habe, heiße Erich Pommer. Er spiele eine Hauptrolle in dem Roman „Der Traumpalast“. Darin versuche er, die Weimarer Zeit in der Geschichte der Ufa-Traumfabrik widerzuspiegeln, der deutschen Antwort auf Hollywood.

Erich Pommer war nach Darstellung Pranges der Mann, der als Produktionsdirektor der Ufa nicht nur den berühmten Stars von damals zu ihren Karrieren verholfen hat, ihm seien auch all die wunderbaren Filme zu verdanken, die bis heute als cineastische Meisterwerke gelten: von „Dr. Caligari“ bis „Dr. Mabuse“, von „Metropolis“ bis „Der blaue Engel“. Alle Ufa-Produktionen, in deren Glanz die Ufa heute noch erstrahlt, seien Werke Erich Pommers, des größten deutschen Filmproduzenten aller Zeiten.

Prange wörtlich: „Die Ufa war Spiegel der Weimarer Republik, 1917 von Erich Ludendorff als eine Propagandamaschine des Militärs gegründet und musste nach dem Ersten Weltkrieg eine Neuausrichtung erfahren. Der Vorsitzende der Deutschen Bank, Emil Georg von Stauß, hat die Ufa schließlich zu dem gemacht, was sie schlussendlich war; die deutsche Antwort auf Hollywood, denn mit Propaganda, so von Stauß seinerzeit, könne man kein Geld verdienen, aber mit Kunst und Unterhaltung. Daraufhin wurde Erich Pommer, der bereits eine kleine Produktionsfirma besessen hatte, Produktionsdirektor der Ufa und zeichnete sich für die kreative Explosion in den zwanziger Jahren verantwortlich. 1933 erkannte auch Joseph Goebbels das Genie von Erich Pommer, der im Begriff war zu emigrieren. Trotz Goebbels’ Versuch, ihn mit falschen Versprechungen in Deutschland zu halten, wanderte Erich Pommer nach Amerika aus und produzierte dort weiter. Nach dem Krieg kehrte Erich Pommer nach Deutschland zurück und half beim Wiederaufbau der deutschen Filmindustrie.“

Josef Ganz und Erich Pommer seien zwei Beispiele dafür, so Peter Prange, welche großartigen Leistungen jüdische Menschen in Deutschland vollbracht hätten und wie gering sie bis heute dafür geschätzt würden beziehungsweise aus dem kollektiven Gedächtnis nahezu vollständig verschwunden seien. Peter Prange zweifelt an einem Zufall. Dies belege auch das Buch „Die Geschichte des Volkswagenwerks und seiner Arbeiter im Dritten Reich“, unter der Federführung von Hans Mommsen, in dem der Name Josef Ganz unerwähnt bliebe. Mit seinem Vortrag über die Vergangenheit, die bis heute auf dem deutsch-jüdischen Miteinander lastet, verdeutlicht Peter Prange ferner, dass auch heute noch jüdisches Leben in unserem Land gefährdet sei. Immer noch gebe es Anschläge auf Synagogen und Friedhöfe; immer noch würden Menschen, die sich durch ihre Kleidung oder in sonstiger Weise als Jüd*innen zu erkennen geben, auf offener Straße angepöbelt und angegriffen; immer noch müssten Juden erleben, wie sie allein aufgrund ihres Jüdischseins drangsaliert und schikaniert würden. Peter Prange bedient sich in seinen Abschlussfeststellungen des autobiographischen Romans „Irgendwo in Deutschland“ der deutschen Schriftstellerin jüdischer Herkunft Stefanie Zweig. Die Odyssee, die im Jahr 1938 Walter, Jettel und Regina von Oberschlesien nach Afrika führt, beschreibt die Autorin Stefanie Zweig in ihrem Buch „irgendwo in Afrika”. Die Geschichte ist jedoch noch nicht zu Ende: Die Familie kommt zurück in das Nachkriegsdeutschland der Entbehrungen und der Hoffnungen, sie versucht, „Irgendwo in Deutschland” ein neues Leben aufzubauen. Die Daheimgebliebenen haben kein Verständnis für die, die freiwillig aus dem vermeintlichen Paradies zurück in die Hölle kommen, wo das Leben vom Kampf ums tägliche Brot geprägt ist.

Prange wörtlich: „Und natürlich war das Deutschland der frühen fünfziger Jahre in keiner Weise entnazifiziert. In einem Bild mutmaßt die junge Stefanie mit feinsinnigem Humor, dass die Dackel, die in Loden gekleidete Hundebesitzer auf der Frankfurter Zeile an den Leinen Gassi führten – dass diese Dackel allesamt noch Nazis seien.“ Prange stellt sich sodann die einfache Frage: „Was können wir gegen die Dackel tun, die immer noch auf Deutschlands Straßen kläffen und pinkeln und beißen? Damit Jüd*innen, die in Deutschland leben und leben wollen, hier eine wirkliche Heimat haben, in der sie sich nicht nur heimisch fühlen, sondern ihr Leben so entfalten können, wie immer sie es möchten?“ Abschließend resümiert er: „Ich fürchte, ein Patentrezept gibt es nicht, weil es gegen Dummheit und Bosheit und Verblendung nun mal kein Patentrezept gibt. Doch zwei Dinge können vielleicht helfen: Rückbesinnung und Selbstbesinnung. Rückbesinnung auf die Vergangenheit, und Selbstbesinnung auf uns selbst, wie viel Antisemitismus ein jeder von uns immer noch in sich trägt. Und vielleicht kriegendie Jüngeren ja hin, was wir Älteren nicht geschafft haben. Grund zur Hoffnung gibt es. Immerhin ist es in zwei Generationen gelungen, dass aus den Trümmern des schlimmsten Schurkenstaats aller Zeiten, des Nazi-Regimes, ein Land geworden ist, in dem trotz der übermächtigen Schatten der Vergangenheit inzwischen wieder viele Menschen jüdischer Herkunft leben möchten. Ganz besonders freut mich dabei, dass für junge Israelis das neue Berlin sich zu einem regelrechten Hotspot entwickelt hat. Für diesen Vertrauensvorschuss, den diese Menschen uns schenken, bin ich zutiefst dankbar. Und sehe darin zugleich unsere kollektive Verpflichtung, diesen Vorschuss einzulösen. Damit sich jüdisches Leben in Deutschland frei und ungehindert entfalten kann. Zum Wohl eines jeden Menschen jüdischer Herkunft in unserem Land. Und zu unser aller Bereicherung. Nur ein Traum? Vielleicht, aber ein schöner. Sorgen wir also gemeinsam dafür, dass er Wirklichkeit wird.“

Insbesondere durch die lebendige Podiumsdiskussion im Anschluss an den Hauptvortrag konnte sodann deutlich gemacht werden, dass der effektive Kampf gegen Antisemitismus immer wieder der zwischenmenschlichen Begegnungen bedarf. Unter dem Titel „Von Kitt und Rissen – was unsere Gesellschaft zusammenhält und was sie spaltet“ diskutierten Mirna Funk, Sylvia Löhrmann, Dr. Elio Adler sowie Peter Prange mit der NDR-Moderatorin Christina von Saß aus weiteren verschiedenen Perspektiven über aktuelles jüdisches Leben in Deutschland.

Hierbei wurde zunächst über die aktuelle Wahrnehmung verschiedener Formen von Antisemitismus gesprochen. Es wurde festgestellt, dass die Sichtbarmachung von Antisemitismus durch und auf Social-Media-Kanälen zu einem Anstieg von antisemitischen Parolen und Denkweisen führe, obwohl Antisemitismus fortwährend seit Jahrhunderten existiert habe. Zum anderen eröffne die Sichtbarmachung jedoch auch die Möglichkeit zu erfahren, was Menschen aus der Mitte der Gesellschaft tatsächlich dächten. Zuvor habe man dem öffentlichen Diskurs die Meinungen von Journalist*innen und Politiker*innen entnehmen können, nicht jedoch die Ansichten der breiten Masse. Die daraus gewonnenen Einsichten könnten gerade in der Prävention von Jüd*innenhass sowie anderer gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit genutzt werden. Eine große Herausforderung dabei sei jedoch, dass die meisten Social-Media-Kanäle überwiegend als Selbstinszenierungsplattformen fungierten, in denen selbstverstärkende Mechanismen ein großes Potential an Radikalisierungsfaktoren innehatte. Insbesondere, wenn Menschen in ihrer Identität und ihrer Selbstwahrnehmung verunsichert und gestört seien, führe dies zu einer hohen Anfälligkeit für den Glauben an Verschwörungsideologien und anderen Narrativen, die intrinsisch antisemitisch konnotiert seien.

Um solchen Entwicklungen vorzubeugen, bedarf es nach Meinung aller Teilnehmenden einer politischen Bildung, welche so früh wie möglich beginnt. Hier müssten mithilfe von Inklusion und Begegnungen positive emotionale Identifizierungsangebote geschaffen werden, damit bereits im Kindesalter das Fremde, darunter z. B. das Jüdische, nicht als Objekt, sondern als etwas Vertrautes und Teil der eigenen Identität verstanden und dadurch auch gestärkt sowie gefestigt werden können. Wenn junge Menschen lernten, dass alle Mitbürger die gleichen Rechte hätten, und sie dabei zusätzlich in ihrer eigenen Persönlichkeit gestärkt werden, sinke das Risiko einer späteren Vorurteilsbildung oder gar Radikalisierung um ein Vielfaches. Auch das „empowern“ junger Menschen, jüdisch wie nichtjüdisch, um eine politische Beteiligung zu fördern, könne hier hilfreich wirken. Um bereits existierende Vorurteilsstrukturen zu bekämpfen, bedürfe es außerdem der Rückbesinnung in Form eines zu bildenden Geschichtsbewusstseins und der Selbstbesinnung im Rahmen einer Reflexion der eigenen Wahrnehmung. Denn die Gemeinsamkeit, welche alle Gruppen antisemitischen Denkens vereine, sei die bereits erwähnte Störung in ihrer Identität und Selbstwahrnehmung. So wurde der Wunsch danach, jüdisches Leben endlich als etwas Normales, als einen normalen Teil unseres öffentlichen Lebens, wahrzunehmen, deutlich und mehrfach formuliert.

Im Hinblick auf eine moderne Erinnerungskultur wurde in der Gesprächsrunde weiter diskutiert, dass das Erinnern nicht als Selbstzweck in Rituale verfallen dürfe. Es sei vielmehr notwendig, durch neue Ansätze eine Beschäftigung mit der deutschen Geschichte zu entwickeln, welche die Verantwortung aller für die Gegenwart formuliere. Ein Beispiel könnte hierbei die Aufarbeitung eigener Biographien, insbesondere also nichtjüdischer und damit häufig Täter-Biographien sein. Durch das Erlernen der eigenen Familiengeschichte werde nicht nur ein emotionaler und persönlicher Bezug hergestellt, sondern Geschichte könne auch als etwas Fortlaufendes, nicht Abgeschlossenes erkannt werden. Zudem könne mit der Einführung von Feier- und Gedenktagen eine Art emotionales Empfinden und Identifizieren mit freiheitlich demokratischen Grundwerten etabliert werden. Beispielsweise könne eine Feier zum Tag des Grundgesetzes nicht nur entsprechende demokratische Grundwerte sichtbar machen, sondern auch ein wichtiges emotionales Gegenangebot zu dem insbesondere von Rechtsextremisten gestrickten, sehr umfangreichen emotionalen Korsett für ihre Anhänger schaffen.

Das Fazit der interessanten Diskussion kann in der Aufforderung, dass mehr Menschen mehr Zugang zu jüdischem Leben benötigten, zusammengefasst werden. Dies könne nicht nur durch eine stärkere Verankerung von jüdischem Leben in der Medienlandschaft eine erhöhte Sichtbarkeit erzielen, sondern vor allem und gerade durch Begegnungen mit Jüd*innen. Je häufiger eine persönliche Begegnung stattfinde, desto normaler und selbstverständlicher werde das gemeinsame Zusammenleben in einem freiheitlich demokratischen und pluralistischen Deutschland.

Mit dem Ende der Podiumsdiskussion kam auch das Symposium zum Schluss. Der Landesbeauftragte resümierte: „Mit jungen jüdischen Stimmen, klugen Köpfen und ausgewiesenen Experten haben wir das Thema Antisemitismus weiter-gedacht – fern ab von standardisierten Betrachtungen! Für diesen bereichernden Impuls bin ich allen Beteiligten sehr dankbar!“

Weiter führte Franz Rainer Enste aus: „Gewiss gibt es – das ist mit dem Symposium deutlich geworden – noch viel zu tun. Und klar ist auch, wir sind gefordert, jeder einzelne von uns! Wir sind immer wieder gefordert, mit Mut und Zivilcourage, ja mit Empathie für das einzutreten, was unseren Staat im Kern ausmacht: seine Offenheit und seine Pluralität, seine Chance zu sozialem Ausgleich und vor allem seinen Respekt gegenüber dem Anderen, letztlich seine Freiheit.“

Das Symposium ist abrufbar: Symposium „Judentum in Niedersachsen – lebendig, wertvoll und bereichernd” – YouTube zu sehen. Die Aufzeichnung wurde bis zum 25.04.2022 bereits 668 Mal angesehen.

Quellennachweis:
„… Jahresbericht ... Jüdisches Leben in Niedersachsen - lebendig, wertvoll und bereichernd“. Niedersächsischer Landesbeauftragter gegen Antisemitismus und für den Schutz Jüdischen Lebens, Hannover, 2021. GBV

Autorenschaft:
M. Beschoten, N. Wimmers

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Nasi, Gracia (1510 - 1569) GNDmehr erfahren

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Datensatz erzeugt:
2023-02-03T17:51:23Z
Zuletzt geändert am:
2023-06-05T11:10:59Z
In Portal übernommen am:
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