Nellie Hortense Friedrichs
Kurzinformation
Kurzbiografie
Nachdem Nellie Bruell 1912, im Alter von knapp vier Jahren, mit ihrer Mutter nach Braunschweig gezogen war, wohnten beide im selben Haus wie ihre Großmutter, Wilhelm-Bode-Straße 11, im östlichen Ringgebiet. Während des Ersten Weltkrieges galten ihre Mutter und sie als „feindliche Ausländer“, da ihre Mutter, durch Geburt britische Staatsangehörige, durch Heirat aber Französin geworden war und sie selbst durch ihre Geburt ebenfalls französische Staatsangehörige war. Ostern 1915 wurde sie in das Lyceum Kleine Burg eingeschult und verließ es im Februar 1928 mit dem Abitur. Zuvor hatten bereits ihre Mutter Ella und ihre Tante Dora die Kleine Burg besucht.
Im Herbst 1928 immatrikulierte sich Nellie Bruell an der Technischen Hochschule Braunschweig für den neu eingeführten Studiengang Volksschullehrerin. Zu ihren Dozenten gehörten u. a. Adolf Jensen, Wilhelm Paulsen, August Christian Riekel, Willy Moog, Karl Hoppe und Theodor Geiger. Nach im Frühjahr 1932 bestandener Diplomprüfung wurde sie Geigers Assistentin und Doktorandin.
Anfang Februar 1933 lernte Nellie Bruell den Mathematiker Kurt Friedrichs kennen, der mit 29 Jahren zum ordentlichen Professor der TH Braunschweig ernannt worden war; er war damit der jüngste Professor der TH. Friedrichs war ev.-luth. Christ. Das Paar verlobte sich knapp ein Jahr später.
Die stetig zunehmenden Repressionen gegenüber Jüd*innen hatten u. a. zur Folge, dass regimekritische und jüdische Lehrende Berufsverbot erhielten oder auf andere Weise aus dem öffentlichen Leben gedrängt wurden. Viele verließen Deutschland, darunter auch Theodor Geiger, Bruells Doktorvater, sowie der Mathematiker Richard Courant, Friedrichs’ Doktorvater. Courant war wie viele seiner Kolleg*innen in die USA emigriert.
Kurt Friedrichs’ Eltern hielten zu seiner jüdischen Verlobten. Viele Freunde unterstützen das Paar, dessen Beziehung nach Verabschiedung der Nürnberger Gesetze im September 1935 „illegal“ und damit für beide lebensgefährlich war. Das Paar plante seither die Flucht aus Deutschland. Um ihren christlichen Verlobten nicht zu gefährden, entschlossen sie sich, über getrennte Wege ins Ausland zu fliehen. Sie wollten sich dann in den USA treffen, wo Kurt Friedrichs bereits Kontakte, u. a. zu Courant, aufgenommen hatte.
Im Sommer 1936 wollte Friedrichs erneut in die USA reisen, wofür er als Beamter und im wehrpflichtigen Alter die offizielle Erlaubnis seines Dienstherrn benötigte. Sein Reiseantrag wurde von Reichserziehungsminister Bernhard Rust persönlich abgelehnt, wobei Rust ultimativ eine Kopie einer von Friedrichs an Courant zu schreibenden Absage forderte.
Mit Hilfe von Freunden aus Braunschweig planten die Verlobten ihre Fluchtwege. Als deutsche Jüdin wäre Nellie Bruell der Reisepass vom NS-Regime längst entzogen worden, da sie aber immer noch Französin war, hatte sie ihren Pass noch und konnte ins Ausland reisen. Eine Schwester Friedrichs’ lebte in Paris. Durch eine fingierte Einladung gelang es dem Bruder, nach Frankreich auszureisen. Dort angekommen, sandte er per Postkarte eine abgesprochene Nachricht an seine Verlobte, die umgehend nach Frankreich ausreiste. Währenddessen hatte Friedrichs das Land per Schiff Richtung USA verlassen. Als französische Staatsangehörige hatte Bruell keinerlei Probleme, alle für ihre Ausreise in die USA notwendigen Papiere zu erhalten. Am 4. Juni 1937 bestieg sie ein Schiff Richtung USA, wo sie am 11. Juni ankam.
Das Paar heiratete am 11. August 1937 in den USA. Gemeinsam hatten sie fünf Kinder und sieben Enkelkinder.
1952 kehrte das Ehepaar Friedrichs zum ersten Mal seit seiner Flucht 1937 nach Braunschweig zurück. Es folgten zahlreiche weitere Besuche [...]
Ihr Leben in Braunschweig beschrieb Friedrichs in ihren Erinnerungen aus meinem Leben in Braunschweig 1912–1937, die in erster Auflage 1980 erschienen und weltweit Beachtung fanden.1979 hatte Christopher R. Friedrichs, der älteste Sohn des Paares, die niedergeschriebenen Erinnerungen seiner Mutter an das Stadtarchiv Braunschweig übergeben. 1980 wurden sie in der Reihe „Kleine Schriften“ des Stadtarchivs anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde der Technischen Universität Braunschweig an Kurt Friedrichs herausgebracht und fanden großen Anklang. Die zweite Auflage folgte 1988 und die dritte, erweiterte 1998, anlässlich ihres 90. Geburtstages. Nellie H. Friedrichs war am 7. November 1994 im Alter von 86 Jahren in New Rochelle, im Bundesstaat New York gestorben.
Quellennachweis:
Wikipedia Nellie H. Friedrichs (zuletzt eingesehen am 30.04.2024)
Für ihre Verdienste um die Annäherung zwischen nichtjüdischen Deutschen und Jüd*innen nach der Schoa wurde Nellie H. Friedrichs am 8. Dezember 1989 vom damaligen Braunschweiger Oberbürgermeister Gerhard Glogowski die Bürgermedaille der Stadt Braunschweig verliehen. Im Braunschweiger Stadtteil Broitzem wurde die Nellie-Friedrichs-Straße nach ihr benannt.
Quellennachweis:
Wikipedia Nellie H. Friedrichs (zuletzt eingesehen am 30.04.2024)
Synagoge und Religionsunterricht
Im Gemeindehaus in der Steinstraße besuchten jüdische Kinder den Religionsunterricht; vermutlich nur selten kam Familie Scheyer zum Gottesdienst in die Synagoge.
Emmy Scheyer und Valeska Heynemann mussten, als sie zur Schule „Kleine Burg“ (siehe 9) gingen, den vorgesehenen protestantischen Religionsunterricht besuchen und zusätzlich an den Religionsstunden teilnehmen, die am Mittwoch- und Samstagnachmittag im jüdischen Gemeindehaus neben der Synagoge stattfanden. Auch die in Braunschweig aufwachsende Nellie Bruell, später verheiratet mit dem Mathematiker Kurt Otto Friedrichs, musste diese Lektionen an der Steinstraße 4 besuchen. Sie schreibt darüber in ihren „Lebenserinnerungen“: „Ich hasste diesen aufgezwungenen Unterricht, der zwei sonst freie Nachmittage verdarb…“
Bei den Familien Scheyer und Heynemann wird es sich um assimilierte Juden gehandelt haben. Es fällt auf, dass Emmy Scheyer in ihren Briefen nie etwas über das Judentum schrieb. Ihren Vornamen Esther erwähnte sie nur ganz selten (in einem Schreiben an die Maler ihrer Gruppe „Die Blaue Vier“ nannte sie sich einmal „Minister des Äußeren Emmy Esther S.“, ein anderes Mal bat sie darum, die Schwächen „der kleinen eitlen Esther Emy“ zu verzeihen). 1919 forderte sie Jawlensky auf, Geduld zu haben, sie habe „keine jüdische Hast“. Beten habe sie durch ihn gelernt. Dabei war Jawlensky russisch-orthodoxer Christ. In ihrem Testament verfügte sie, dass ihr Leichnam eingeäschert und die Asche verstreut werde, niemand dürfe zugegen sein – drei Forderungen, die jüdischem Brauchtum nicht entsprachen.
Auch ihre Freundin Valeska Heynemann schilderte die Distanz, die ihre eigene Familie zum jüdischen Leben hatte. So habe es ihre Mutter vermieden, in die Braunschweiger Synagoge zu gehen. Ihr Vater sei nur an Jom Kippur dorthin gegangen und habe dabei immer Schwierigkeiten gehabt, den für ihn vorgesehenen Sitzplatz zu finden. Deshalb habe sie einmal ein Bild gemalt, das genau das darstellt: ihren Vater, wie er in der Braunschweiger Synagoge seinen Sitzplatz sucht und wie er als einziger den Tempel verlässt, verfolgt von den Blicken einiger Anwesenden.
Die Synagoge wurde während des Judenpogroms 1938, zynisch und beschönigend „Reichskristallnacht“ genannt, zerstört und zu einem Bunker für arische Braunschweigerinnen und Braunschweiger umgebaut. Das jüdische Gemeindehaus blieb unzerstört, es wurde aber bis 1945 als Polizeirevier missbraucht.
Quellennachweis:
Galka-Scheyer-Atlas (zuletzt eingesehen am 30.04.2024)
K. Keßler und G. Holzgang, „Galka Scheyer in Braunschweig Auf Spuren der jüdischen Kunstvermittlerin“. Bet Tfila - Forschungsstelle für Jüdische Architektur in Europa, Braunschweig, 2021. GBV
Autorenschaft:
K. Keßler; G. Holzgang
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