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Personen
Liesel Aussen

Liesel Aussen

Kulturelle Zugehörigkeit:
Judentum
Geschlecht:
weiblich

Kurzinformation

Liesel Aussen stammt aus dem ostfriesischen Leer, wo sie 1936 in der Zeit des Nationalsozialismus geboren wurde. Sie wurde nur 7 Jahre alt. Sie wurde in der Schoa ermordet.

Kurzbiografie

Leben und Wirken:

Liesel wohnte zuletzt mit ihren Eltern Alfred und Paula Aussen in der Rathausstraße 22/24. Ihr Großvater, Louis Aron, unterhielt dort eine Manufaktur- und Modewarenhandlung. Einen Tag nach ihrer Geburt, am 3.3.1936, fand sich ihr Vater, der Kaufmann Alfred Aussen, im Leeraner Rathaus ein, um die Geburt seiner Tochter anzuzeigen. Einen schönen Namen hatten die jungen Eltern für ihr erstes Kind vorgesehen: „Liesel“. Nach altem Herkommen sollte das Erstgeborene einen Namen nach den Großmüttern erhalten. Die Großmutter mütterlicherseits hieß mit Vornamen „Lina“, die Großmutter väterlicherseits „Selma“. Dieses führte zusammengezogen zum Vornamen „Liesel“, um beide Großmütter aus reiner Familienpietät gleichermaßen zu benennen. Die Eintragung dieses Namens sollte jedoch nicht erfolgen. Er wurde vom Standesbeamten schlichtweg abgelehnt. Begründung: „Liesel“ sei ein deutscher Vorname. Da der deutsche Standesbeamte seinerzeit „stets auf die Pflege und den Wert der schönen deutschen Vornamen hinweisen sollte“, sah sich der hiesige Amtsinhaber genötigt, in diesem Fall zu verhindern, dass ein Ausländer (Alfred Aussen war niederländischer Staatsangehöriger, so also auch seine Tochter), erst recht wenn dieser ein Jude ist, sich mit einem schönen deutschen Vornamen schmückt. Diese Weigerung konnte Alfred Aussen nicht hinnehmen. Er versuchte Alternativen wie „Lisel“ oder „Lizel“ vorzuschlagen, um den Standesbeamten umzustimmen - aber vergeblich.

Der „Fall“ Liesel wurde zum Politikum. Der Reichsbund der Standesbeamten Deutschlands wurde eingeschaltet, das Amtsgericht Leer sowie der Landrat des Landkreises. Am 19. Mai 1936 wies man den Standesbeamten schließlich an, das Kind der Eheleute Aussen auf den Vornamen „Lisel“ (ohne „e“) einzutragen mit der Begründung, weil „die im deutschen Reiche lebenden Juden durch gesetzliche Bestimmung (im Jahr 1936) hinsichtlich des Gebrauchs deutscher Vornamen nicht beschränkt“ seien. „ Es könne nicht Aufgabe einzelner Stellen im Lande sein, der obersten Staatsführung die Lösung eines Teils der Judenfrage vorweg zu nehmen“. Der übereifrige Standesbeamte musste sich diese sanfte Zurechtweisung gefallen lassen und sich ihr zähneknirschend beugen.

Ihre ersten zwei Lebensjahre verbrachte Liesel in Leer. In dieser Zeit spitzte sich die Lebenssituation ihrer Eltern und Großeltern in der Rathausstraße Leer zu. Großvater Louis Aron musste seine Manufakturwarenhandlung bald schließen. Die Kundschaft blieb aus. Ebenso wie ihm erging es der gesamten jüdischen Kaufmannschaft. Paula, sofern sie sich überhaupt auf die Straße wagte, verbrachte viele Stunden des Tages damit, in den Leeraner Geschäften anzustehen. Wenn sie als Jüdin überhaupt die Läden betreten durfte, musste sich die junge Frau in der Wartereihe immer wieder hinten anstellen, falls ein „Arier“ Besorgungen machen wollte.

Liesel kannte ihre Heimatstadt kaum. In den öffentlichen Anlagen waren sie und ihre Eltern nicht gern gesehen. Das große Freibad an der Georgstraße, 1935 eröffnet, kannte sie überhaupt nicht. Sie durfte es nicht betreten. Allenfalls das fröhliche Gekreische und Gejohle der jungen Badegäste drang über den Hafen hinweg an ihre Ohren. Vielleicht hätte das kleine Mädchen gerne ein Haustier gehabt – aber Juden durften keine Haustiere halten. Außerhalb der Familie hatte Liesel nur Kontakte zu jüdischen Freunden. Astrid Pels wohnte ganz in der Nähe, in der Hindenburgstr. 2. Zwar war sie fast drei Jahre älter, aber gleichaltrige Spielgefährten gab es nicht. Die Ausgrenzungsmechanismen der jüdischen Bevölkerung in der Ledastadt nahmen immer krassere Formen an. Die OTZ, das offizielle Mitteilungsblatt der NSDAP, veröffentlichte unter der Rubrik „Leer Stadt und Land“ immer öfter gemeine Hetzartikel gegen die jüdische Bevölkerung, die allem Anschein nach
Wirkung zeigten. Das jüdische Leben fand nur noch hinter fest verschlossenen Türen statt. Am Mittwoch, dem 24. Mai 1938, zog Alfred Aussen mit seiner kleinen Familie nach Winschoten, Holland. Das Umzugsgut wurde am 24. Mai ab 8.00 Uhr unter Zollaufsicht verladen.

Die Großeltern blieben zunächst in der Rathausstraße zurück. Louis Aron konnte sich einfach nicht vorstellen, sein Geburtshaus und die Stadt zu verlassen. Vielleicht würde sich ja noch alles zum Besseren wenden. Dieser Glauben verließ ihn nach der Reichspogromnacht. Die Familie Zilversmit hatte sich im August 1938 in das Haus eingemietet. Gemeinsam mit ihr erlebten die alten Arons die furchtbare Nacht vom 10. November 1938. Louis Aron hörte gegen Morgen, es mag 4.00 Uhr gewesen sein, auf der Straße einen furchtbaren Lärm. Befehlstöne, Schreie und Wehklagen drangen durch das Schlafzimmerfenster an sein Ohr. Nebenan bei Jonas de Vries wurde die Haustür eingeschlagen. Louis Aron versuchte noch, sich hinter dem Haus im Abort zu verstecken, als auch seine Haustüre aufgebrochen wurde und die großen Schaufensterscheiben zersplitterten. Unter Hohngelächter wurde er zu der Gruppe zu Tode geängstigten Juden auf die Straße bugsiert und zusammen mit ihnen wie Vieh zum Viehhof getrieben.

Im März 1939, nachdem das angestammte Elternhaus Ende November 1938 an die Stadt Leer verkauft werden musste, zogen auch Louis und Karolina Aron nach Winschoten, in die Nähe ihrer Tochter Paula. Genau vier Jahre später, Nazideutschland hatte längst die Niederlande überrollt, wurde die Familie Aron über das Durchgangslager Westerbork nach Sobibor deportiert.

Sobibor war ein reines Vernichtungslager. Louis, Karolina und Erna Aron werden dort nicht länger als drei Tage überlebt haben. Vier Monate später, am 20. Juli 1943, verließen wiederum eng mit menschlicher Fracht beladene Viehwaggons das holländische Sammellager in Richtung Osten. Auch dieser Zug passierte, wie so viele vorher, die Ledastadt. In einem dieser Waggons: Familie Aussen. Ihr Ziel: Sobibor. Liesel war gerade sieben Jahre alt.

Quellennachweis:
Liesel Aussen (zuletzt eingesehen am 24.04.2024)

Nachwirken:

Die Freifläche vor dem Zollhaus gegenüber dem Bahnhof von Leer wurde am 10. Juli 2022 Liesel-Aussen-Platz benannt. Das Denkmal zeigt die Figur eines Mädchens in einem Mauerstück aus Ziegel- und Bruchsteinen. Der Name »Liesel Aussen« ist als Relief eingefügt. Die Figur selber ist aus Gusseisen. Auf der Rückseite sind ein Judenstern und die Worte »Leer« und »Sobibor« zu sehen. Das Kunstwerk ist eine Arbeit des Leeraners Gerd Christmann. Der Guss der Figur erfolgte bei den Leeraner Leda-Werken. Eine Infotafel, erstellt von Schülern des Leeraner Teletta-Gross-Gymnasiums, informiert über das Schicksal des Mädchens.

Quellennachweis:
Liesel Aussen (zuletzt eingesehen am 25.04.2024).

Familie und Netzwerk

hat biologischen Eltern:

Lebensstationen

Wohnorte:
Leer, Rathausstraße 22/24

Administrative Angaben

Datensatz erzeugt:
2024-04-24T13:12:58Z
Zuletzt geändert am:
2024-04-30T10:33:32Z
In Portal übernommen am:
2024-10-29T10:01:34+01:00
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